Verfalldatum – date limité de consommation – best before – sic transit

Erstes Schweizer Müllmuseum in Ried im Lötschental

Müllmuseum in der Alpenidylle

Der Kulturwissenschaftler Dr. Werner Bellwald sammelt seit mehr als 30 Jahren im Lötschental all das, was andere fortwerfen – Möbel, Werkzeuge, Haushaltgeräte, Grabkreuze, Spielzeuge und mehr. Das Gesammelte stellt der Volkskundler im Chidr-Museum Lötschental aus – dem ersten Schweizer Müllmuseum.

Alles muss fort!

Die rostige Sense von Grossvater, der kaputte Kindersitz, das zerkratzte Snowboard, die alten Küchenmöbel, das Grabkreuz von Tante Anni, jenes hässliche Bild, das wir eh nie erben wollten und das Sofa, von dem der Idiot von Hund ein Stück herausbiss – hinweg damit.

So gut wie überall und jederzeit gibt es in den (post)industrialisierten Gesellschaften Sperrmüll. Regelmässig und tonnenweise. Je nach Ort und Zeit, wirtschaftlicher Konjunktur und sozialer Schicht wechselt dessen Zusammensetzung. Und ist offensichtlich ein Spiegel jener, die wegwerfen…

Doch wohin?

Überall fällt Abfall an. Das ist in einem Alpental nicht anders. Im Lötschental öffnet die Sperrmülldeponie von Tennmatten mehrmals jährlich ihre Tore. Man staunt (oder nun eben nicht mehr), was hier alles zusammenkommt. Werner Bellwald hat seit ca. 1990 einiges gesammelt, was im Dialekt „Chidr“ (Müll) genannt wird und damit im Lötschental das erste Müllmuseum der Schweiz eröffnet. Die einen freuen sich…

Interessiert?

Wo: In 3919 Ried / Lötschental im Wallis, 30 m von der Postautohaltestelle, 100 m von den öffentlichen Parkplätzen und 1.2 km von der Müllhalde entfernt
Wann: auf Anfrage geöffnet von Mai bis Oktober
Wie viel: Ab 10 Personen: 15.– pro Person (inkl. persönliche Führung)
Wer: werner.bellwald@kulturexpo.ch

Nach dem Bergsturz im Lötschental

Der Bergsturz – Ried befand sich etwa in der Bildmitte, am Hang links der Lonza und der neu aufgestauten Seen (bewilligter Drohnenflug Bernd Hartung, Frankfurt, Juni 2025).

VERFALLDATUM  –  NUN IST ALLES ENTSORGT! FÜR IMMER…

Der 28.05.2025 wird für das Lötschental, für das Wallis, eigentlich für alle BewohnerInnen und FreundInnen der Alpen als rabenschwarzer Tag in die Geschichte eingehen. Ein grosser Bergsturz begrub das Dorf Blatten und die Nachbarsiedlung Ried.

Die 300 EinwohnerInnen in der Gemeinde, zusätzlich all die auswärts wohnenden BlattnerInnen und die  ZweitwohnungsbesitzerInnen verloren ihr Hab und Gut, liebgewordene Gegenstände und Orte, die unersetzbar sind. Zum Glück blieben die beiden Weiler Eisten und Weissried verschont.

Nebst dem materiellen Verlust gibt es einen menschlichen, einen sozialen und kulturellen, der sich nicht immer beziffern lässt, doch ebenso schwer wiegt. Die sozialen Kontakte sind pulverisiert. Gewohntes und Vertrautes  ist schlagartig weg. Und auch Fotosammlungen, die famosen Fasnachtsmasken, Bücher, Notizen aus dem örtlichen Leben – alles verloren. Gleich geht es dem ersten schweizerischen Sperrmüllmuseum, das der Verein namens „Verfalldatum“ führte.

Seit den endenden 1980er Jahren hatte Werner Bellwald auf dem Sperrmüll des Tales Gegenstände gesammelt. Wie Familienväter etwa Fahrräder, Skier oder Spielzeuge mitnahmen, wie der Mann mit Migrationshintergrund Kupfer zusammensuchte, wie Handwerker dieses oder jenes Teil entdeckten, das ihnen gerade praktisch erschien, wie an Antiquitäten Interessierte ein altes Stück als Trophäe heimführten, so sammelte auch Werner ein frühes Natel, eine alte Sense, den Bügel des ersten Skilifts, das Werbeplakat des Verkehrsvereins, einen der ersten Schwarzweissfernseher und so weiter– mit den Jahrzehnten entstand eine kuriose wie aussagekräftige Sammlung, die augenscheinlich den Übergang der alten bäuerlichen in eine heutige Konsumgesellschaft vorführte. 2010 war das Sperrmüllmuseum eröffnet und seither Raum um Raum erweitert und aktualisiert worden.

Nun hat der Bergsturz die Entsorgung nachgeholt. Schade um das schöne Wohnhaus von Onkel Bernhard, in dem das Museum auf zwei Stockwerken beheimatet war, während im Erdgeschoss die legendäre Werkstatt des Schuhmachers und Allrounders unverändert da stand und die BesucherInnen erfreute wie der Maskenkeller oder der neu eingerichtete Fotoraum mit den Bildern aus den 1950er und 1960er Jahren – ein Genuss.

An Ort und Stelle ist alles ausradiert, der Bergsturz wütete wie ein Bombardement. Eine tröstliche Nachricht gibt es dennoch: Zum Sperrmüllmuseum und zu Onkel Bernhard Siegen als Dorffotograf waren bereits in den Monaten vor dem Bergsturz zwei Bücher in Arbeit, die mindestens je zur Hälfte fertig sind – immerhin eine reich bebilderte Dokumentation wird man bald einmal in der Hand halten können…